Energiewende: Bürgerentscheide haben positive Effekte

  19. November 2025 Aktuelles

Der Ausbau der erneuerbaren Energien gelingt in Bayern nicht in der erforderlichen Geschwindigkeit. Dies ist unter anderem auf mangelnde Akzeptanz von Energiewendeprojekten in der lokalen Bevölkerung zurückzuführen, weshalb politisch über die Einschränkung des direkt-demokratischen Instruments des Bürgerentscheids diskutiert wird. Svenja Kastenholz hat in ihrer Masterarbeit untersucht, wie Bürgerentscheide auf die zeitliche Umsetzung und lokale Akzeptanz von Energiewendeprojekten wirken. Das Ergebnis: Der Bremseffekt ist gering wohingegen sich Akzeptanz, Energiegerechtigkeit und Umweltverträglichkeit verbessern. 

Im Spannungsfeld zwischen notwendiger Beschleunigung der dezentralen Energiewende und Interessen unterschiedlicher Akteur*innen kommt es im Zuge der Energiewende zu gesellschaftlichen Konflikten und Umsetzungsschwierigkeiten. Insbesondere in Bayern zeigte sich in den letzten Jahren die Umsetzung der Energiewende als konfliktreich. Es bestehen ungenutzte Potenziale vor allem im Bereich Windkraft, die zusammen mit der Solarenergie die bedeutendste erneuerbare Energiequelle darstellt. Zudem prägen politische Falschinformationen und eine öffentlichkeitswirksame Anti-Windkraft-Haltung durch Äußerungen wie „Bayern ist kein Wind-Land“ oder Warnungen vor einer „Verspargelung der Landschaft“ die spannungsgeladene Situation in Bayern.
Während Windkraftkritik seit Jahren ein Thema ist, nehmen in jüngster Zeit auch Konflikte um Freiflächen-Photovoltaikanlagen zu. Befürchtet werden eine „Verspiegelung“ der Landschaft, eine Konkurrenz für Flächen landwirtschaftlicher Produktion oder sinkende Immobilienwerte.

Im Juni 2024 äußerte sich Ministerpräsident Markus Söder bei seiner Regierungserklärung folgendermaßen zur Umsetzung der Energiewende:

„Manches wird nicht durch die Bürokratie, sondern natürlich auch von den Bürgern selbst gern gebremst. Die direkte Demokratie ist in Bayern wichtig und ein hohes Gut. […] Bürgerentscheide können befrieden, aber sie werden zunehmend auch gerne als Blockade eingesetzt. Das gilt für Solar- und Windparks, Energieanlagen, aber auch für ganz wichtige Projekte der Daseinsvorsorge […] Ich finde, wir müssen die richtige Balance finden zwischen Allgemeinwohl und Partikularinteressen.“ (Markus Söder, Regierungserklärung vom 13.06.2024, 37:26-38:08 Min)

Söder führt den bislang unzureichenden und zu langsam fortschreitenden Ausbau erneuerbarer Energieanlagen demnach auch auf Widerstände der lokalen Bürgerschaft zurück, die das Instrument des Bürgerentscheids dazu nutze, erneuerbare Energieprojekte in ihren Kommunen zu verhindern. Als Lösung sollen die Hürden für direkte Demokratie erhöht werden. Doch stimmt die Diagnose einer Blockadehaltung der bayerischen Bürgerschaft gegenüber Energiewendeprojekten?

Wie wirken Bürgerentscheide auf das Gelingen der Energiewende?

Svenja Kastenholz hat in ihrer Masterarbeit die Bürgerentscheide zur Energiewende in Bayern untersucht. 59 Verfahren haben zu den Themen Wind- oder Solarenergie zwischen 2014 und 2024 stattgefunden, davon hatten etwa 44 Prozent eine positive Zielrichtung und knapp 56 Prozent eine bremsende Zielrichtung im Hinblick auf die Energiewende. Es fällt auf, dass etwa 90 Prozent (30 von 33 Verfahren) der Verfahren mit einer bremsenden Zielrichtung von Bürger*innen initiiert wurden. Dahingegen wurden etwa 80 Prozent (21 von 26 Verfahren) mit einer positiven Zielrichtung von Gemeinderäten angestoßen. (Hinweis: Bürgerbegehren und Ratsreferenden werden hier unter Bürgerentscheide zusammengefasst. Die Ergebnisse der Abstimmungen wurden nicht berücksichtigt.)

Neben der Datenlage wurden die Verfahren in vier Kommunen, anhand medialer Veröffentlichungen sowie Interviews mit ihren Bürgermeister*innen näher untersucht. Die Auswertung zeigt: Neben ihrem Beitrag zur Strukturierung des Diskurses und dem Ergebnis der Regelung von Konflikten, können Bürgerentscheide auch Planungsinhalte beeinflussen. Im Zuge der Verfahren sind gerechtere und umweltsensiblere Planungen vereinbart worden. Herauszuheben sind insbesondere die Sicherung lokaler Wertschöpfung, Verbesserung der Umweltverträglichkeit und rechtliche sowie finanzielle Beteiligung der Bürger*innen.

Der Effekt von Bürgerentscheiden auf die Umsetzung in zeitlicher Hinsicht kann zwar nicht als beschleunigend bezeichnet werden, aber eine pauschal attestierte bremsende Wirkung kann anhand der Daten und Fallanalyse auch nicht bestätigt werden.

Gute Praxisbeispiele

Eine untersuchte Gemeinde setzt seit etwa zehn Jahren auf den Zubau von erneuerbaren Energieanlagen, sodass die Kommune mittlerweile das Sechsfache ihres Eigenbedarfs an erneuerbarer Energie produziert und davon wirtschaftlich profitiert. Eine andere Gemeinde macht die Energiebilanzen auf der Homepage zugänglich und fördert zivilgesellschaftliches Engagement zur Energiewende durch einen angegliederten und seit vielen Jahren aktiven Arbeitskreis. Demnach können Bürgerentscheide dazu beitragen, dass Planungen gerechter, partizipativer und umweltsensibler ausgestaltet werden. Es wird aber aufgrund lokaler Gegebenheiten bei den untersuchten Verfahren deutlich, dass es keine Blaupause für die qualitative und quantitative Erfüllung von Bedingungen zur Akzeptanz geben kann. Jedoch können auf dieser Grundlage Hinweise auf Gelingensbedingungen und Handlungsempfehlungen identifiziert werden.

 

Handlungsempfehlungen für Gemeinden und politische Entscheidungsträger*innen

Bürgerbeteiligung stärken:

  • Frühzeitige, umfassende, transparente Information
  • Ergebnisoffener Dialog vor Planungsentscheidungen
  • Aktivwerden seitens des Gemeinderats in einer frühen Konfliktphase
  • Weiterentwicklung gemeindlicher Beteiligungsformate

Bürgermeister*innen unterstützen:

  • Vulnerable Position der Bürgermeister*innen verlangt Schutz vor Anfeindungen
  • gezielte Weiterbildungsangebote zur Umsetzung der Energiewende als Großprojekt

Verwaltung und Politik in der Verantwortung:

  • Regelungen für Standorte von Freiflächen-PV-Anlagen
  • Vereinfachung von Verwaltungsverfahren, Bürokratieabbau
  • Einheitliche Regelungen zum Zubau von Wind- und PV-Anlagen
  • Informationspflicht von Projektiertern gegenüber Gemeinde
  • Verantwortungsübernahme durch Mitarbeitende in Behörden
  • Stärkung der Kommunen gegen (überregionale) Verbandsklagen

Energiewende im Sinne der Großen Transformation aktiv gestalten:

  • Bedeutungswandel der Energiewende: Energieanlagen als Infrastrukturen der Daseinsvorsorge
  • Verknüpfung von Energiewendeplanungen mit anderen lokalen Projekten und lokaler Wertschöpfung
  • Anwendung des Konzepts der Co-Transformation
  • Häufiger Entscheidungen für ein Ratsbegehren und dadurch einen Bürgerentscheid und direkte Demokratie wagen

Mehr oder weniger Bürgerentscheide in Bayern?

Rund 40 Prozent aller Bürgerentscheide in Deutschland finden im Freistaat Bayern statt. Das bayerische Kabinett hat einen Runden Tisch zur "Weiterentwicklung von Bürgerentscheiden" eingesetzt, um die Auswirkungen auf die Energiewende zu debattieren. Das Ergebnis: Innovative Ansätze der Bürgerbeteiligung wird es nicht geben, aber auch keine großen Einschnitte bei Bürgerentscheiden. Das letzte Wort hat der Landtag.

Kastenholz, Svenja (2025): Bürgerentscheide zur Energiewende – Eine Untersuchung ihrer Wirksamkeit anhand von Beispielen aus Bayern

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